· 

Die Katze

 

Jetzt ist die Katze krank.

 

Kam gestern heim, von ihrem Spätabend-Spaziergang und hat schon so komisch geschaut. Aber das macht sie öfter mal...

 

Heute morgen haben wir es dann entdeckt:

Blut auf dem Laken, auf dem sie schlief - ein riesiges, klaffendes Loch in der linken Achsel.

Wie bitte holt sich eine Katze bei einem gemütlichen mitternächtlichen Rundgang ein riesiges, klaffendes Loch in der Achsel?

 

Natürlich ist Sonntag. Tierbesitzer kennen das. Eltern auch.

Wenn was ist, ist es immer Mittwoch Nachmittag. Oder Wochenende.

 

Gut, immerhin: Es gibt auch für Tiere einen Notdienst. An dieser Stelle:

Herzlichen Dank dafür!

 

Die Tierärztin empfängt mich mit Maske und Handschuhen in der Eingangstür der Praxis. Mit rein darf ich nicht - wegen des Abstandes.

Mit dem Vermerk mich anzurufen, wenn sie fertig sei, schickt sie mich wieder weg.

 

Wie surreal sich die ganze Situation immer noch anfühlt, wie traurig.

Völlig undenkbar, noch vor einem Monat...

 

Jetzt ist die Katze also dort.

Zum Nähen des riesigen, klaffenden Loches. Unter Vollnarkose. Klar - freiwillig und sehenden Auges lässt sie sich das nicht reparieren.

 

Und ich sitze und warte auf den Anruf.

 

Um mich abzulenken, lese ich. "Was man von hier aus sehen kann" von Mariana Leky (1) ist zur Zeit meine Lektüre. Elsbeth sagt darin: "Wer ein Fledermausherz isst, dem tut nichts mehr weh." - und meint damit den Seelenschmerz.

 

Das bringt mich ins Grübeln.

 

Wenn man diesen Satz mit Blick auf die derzeitige Lage betrachtet - dass angenommen wird, die Seuche sei durch Fledermäuse und das Verzehren derselbigen ausgelöst - bedeutet dies im Umkehrschluss, dass eigentlich der Seelenschmerz, den man so gerne mit dem Fledermausherz ausgemerzt hätte, all dies verursacht hat?

 

Ein kühner Gedanke...

 

Aber warum tut sie bei Vielen so weh, die Seele?

 

Es ist ja ein Zeichen unserer Zeit, diese Überforderung.

Schon neunjährige Kinder stehen kurz vor einem Burn Out. Kann man messen. Im Speichel. Die Stresshormone...

 

Und wir haben einfach immer weiter gemacht. Höher - schneller - weiter. Um nicht nachdenken zu müssen? Und weil es ja irgendwie weitergehen musste...

 

Stillstand bedeutet Furcht, bedeutet Abstieg, bedeutet Sich-mit-sich-selbst-beschäftigen-müssen. Und das musste auf jeden Fall vermieden werden. Denn was hätte da in uns zum Vorschein kommen können?

 

Jetzt nicht mehr. Jetzt ist er da, der Stillstand.

 

Jetzt ist die Zeit, nachzudenken.

Über das was ist und das was wird.

Und ob man das was war noch so haben möchte.

Bei dem, was wird.

 

 

Blog - Die Katze

Viel Erfolg bei dem ganzen Denken wünsche ich dir.

Und mir.

 

 

Der Katze geht es übrigens besser.

Sie hatte noch ein wenig mit den Nebenwirkungen der Narkose zu kämpfen. Aber nun schläft sie in meinem Arm.

 

Alles wird gut.

 

Deine Daniela

 

 

Quelle:

1. "Was man von hier aus sehen kann" von Mariana Leky,  DuMont Buchverlag (S. 235)

 

© 2020 - Daniela Bezold

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0