Stille (in mir)

Ich bin draußen.

 

Es ist sehr still. Ungewohnt still.

 

Ich laufe. Mit raumgreifenden Schritten gehe ich durch diese neue, ganz ruhige Welt.

Man hört Vögel zwitschern, oben am Himmel summt eines der wenigen verbliebenen Flugzeuge. Rechts von mir sitzt eine Familie auf ihrem Balkon und unterhält sich leise. Von irgendwo weht ein Lachen zu mir herüber.

Es ist friedlich...

 

Wenn doch mal ein Auto vorbei fährt, dessen Geräusch mich streift, empfinde ich es als unerträglich laut. Ein Dröhnen und Donnern, fast möchte ich mir die Ohren zuhalten.

 

Ist es das, was passiert, wenn wir die Welt anhalten?

Dass wir spüren, wie laut es tatsächlich die ganze Zeit war?

 

Menschen mit einer Hochsensibilität können meist ein Lied davon singen. Viele Hochsensible haben ein empfindliches Gehör (1). Ein Geräusch wird dann als wesentlich lauter oder auch störender empfunden, als es vielleicht ein Anderer wahrnimmt. Schier zum Durchdrehen manchmal...

 

Ganz schlimm sind (für mich) andauernde Geräusche - ein in schneller Abfolge immer wiederkehrendes, nervöses Klackern zum Beispiel oder das monotone, aber doch immer wieder kurz aufröhrende Brummen des Rasenmähers nebenan.

 

Natürlich kann eine Lärmempfindlichkeit auch medizinische Ursachen haben, das sollte man nicht vergessen.

Aber davon reden wir hier nicht. Hier geht es um eine neu entstehende Empfindlichkeit der Sinne, die sensibel auf so manches reagiert, was früher absolute Normalität war.

 

Mehr hören - die Stille genießen. Die Geräusche der Natur wieder stärker wahrnehmen.

Mehr sehen - aufmerksamer sein für all die schönen Dinge um uns herum. Ihnen mehr Zeit und Beachtung widmen.

Mehr fühlen - sich selbst Raum geben. Meditieren. Kuscheln mit dem Partner, mit den Kindern. Zeit haben. Zeit geben.

 

Ich glaube, es war schon immer da, in uns. Und kommt erst jetzt, wo wir uns endlich mal ein paar Minuten Zeit für uns selbst gönnen, zum Vorschein.

 

Und was wird passieren, wenn wir uns an die neue Stille gewöhnen? Und in ein paar Wochen wieder alles zur viel zitierten und ungeduldig erwarteten "Normalität" zurückkehrt? Verlieren wir dann auch wieder diese Empfindsamkeit?

Wie lange wird es dauern, bis wir die hektische und laute Welt wieder in unseren Alltag integriert haben?

 

Oder wird sich dauerhaft etwas verändern - in uns, um uns?

Und werden das nur Nuancen sein oder stehen große Umbrüche an?

 

Immerhin: Hast du es schon gehört?

In der großen Welt da draußen tut sich was - Prada fertigt jetzt Arztkittel, Gucci Atemschutzmasken. Ferrari baut Beatmungsgeräte und LVMH produziert Desinfektionsmittel statt Parfum für Dior und Givenchy.

 

Hab ich gehört...

 

Okay dann... 

Ich leg´ mich jetzt mal unter den Baum da ins weiche Gras - muss noch ein bisschen nachdenken. Und den Vögeln zuhören. Die bekommen ja allerhand mit von der Welt...

 

Bis zum nächsten Mal.

 

Deine Daniela

 

Quelle:

1. "Hochsensibilität und Lärmempfindlichkeit", Zart Besaitet